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Bericht zur Veranstaltung "Deathbook – Der Thriller 3.0"

Multimediale Autorenlesung mit Podiumsdiskussion zur Zukunft des Lesens, Kulturkeller „Ulenspiegel“ in Gießen, 11. Juni 2015


Ein Bericht von , und

 

> Veranstaltungsprogramm

 

Deathbook Poster Bild.jpgWissenschaft und Gesellschaft zusammen bringen – in welchem Format könnte dies besser gelingen als bei einer Diskussion zur Zukunft des Lesens?! Denn sowohl im akademischen Bereich als auch in der Wahrnehmung einer breiten interessierten Öffentlichkeit steht das Medium Buch in seiner traditionellen und seinen innovativen Formen im Fokus der Diskussion um die postmoderne Mediengesellschaft. Das ideale Beispiel bietet das Werk Deathbook (2013) des deutschen Bestsellerautors Andreas Winkelmann: hieran lassen sich aktuelle Veränderungen auf dem Buchmarkt sowie daraus entstehende, neue Anforderungen an Autor_innen, Leser_innen und Verlage diskutieren. Bei Deathbook handelt es sich um ein ebook-Projekt, das vom Rowohlt-Verlag als interaktiver Serienthriller konzipiert und als Auftragsarbeit an einen Autor ausgeschrieben, beworben und veröffentlicht wurde. Für die Arbeit an diesem Thriller schlüpften sowohl die Mitarbeiter_innen des Verlags als auch der Autor in ganz neue Rollen. Der Autor, der üblicherweise im ‚stillen Kämmerlein‘ seine schaurig-gruseligen Geschichten schreibt, wurde bei der gesamten Konzeption des Buches von einem Team aus rund zwei Dutzend Mitarbeiter_innen unterstützt. Dies vor allem deswegen, weil sich in der ebook-Version des Thrillers traditionelle Erzähltechniken mit Formaten aus neuen Medien vermischen. Animierte Bilder, Audiodateien, Videos sowie Elemente von Websites, Blogs und den Sozialen Netzwerken sind eng mit der Geschichte verwoben und binden die Leser_innen multimedial ein. Zudem gibt es für die Leser_innen des ebooks die Möglichkeit, sich online auf einer Plattform des Verlages für das Buch zu registrieren. Das ohnehin schon neuartige Leseerlebnis wird so noch intensiviert: Durch SMS, Anrufe und E-Mails vom Deathbook-Mörder werden die Leser_innen Teil der erzählten Geschichte und erleben hautnah, wie sich Realität und Fiktion vermischen.

 

Das Deathbook – Eine Lesung der besonderen Art

 

Foto 3_Winkelmann_Lesung.jpgEinblicke in dieses besondere Buch gewährte ANDREAS WINKELMANN den Besucher_innen des Kulturkellers „Ulenspiegel“ am 11. Juni 2015 in Form einer multimedialen Lesung, die den Auftakt einer zweigeteilten Veranstaltung zur Zukunft des Lesens bildete. Organisatorinnen des Abends waren Mitglieder einer Projektgruppe der Research Area 2 Cultural Narratologies“ des International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) unter der Leitung von Anna Weigel. Andreas Winkelmann begab sich für die Konzeption dieser Geschichte, deren Protagonist er selbst ist, auf für ihn unbekanntes, elektronisches Terrain. Unter dem Einsatz von Videomaterial nahm der Autor die rund 60 Besucher_innen der Veranstaltung mit in die digitale Welt des Todes 3.0. Die QR-Codes, die im Buch mit den Nachforschungen über die Todesursache seiner Nichte Kati in Verbindung gebracht werden, verteilte Andreas Winkelmann auch im Zuschauerraum. Doch der Gefahr, sich online zu ‚entblößen‘, indem dieser Code mit dem Handy eingescannt und dadurch möglicherweise schädliche Software auf dem eigenen Smartphone installiert wird, setzte sich aufgrund der Warnung des Autors niemand der Besucher_innen aus. Ohnehin löste der Autor zum Ende der Lesung die zu Beginn hergestellte Illusion auf, seine Nichte sei wirklich Foto 1_Anna.jpeggestorben. Er betonte, inwieweit für ihn Wahrheit und Fiktion in der Anfangsphase der Veröffentlichung von Deathbook miteinander verschmolzen waren, denn als Autor und Protagonist zugleich habe er in der Ankündigung des Buches über die sozialen Netzwerke beide Rollen spielen müssen. Zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Thrillers müsse er nicht mehr in-game sein, wie noch zu Beginn der Veröffentlichung. Zu jener Zeit habe er bei seinen Lesungen grundsätzlich die Rolle des Protagonisten gespielt, ohne dies jedoch am Ende zu enttarnen. Der von Winkelmann gebrauchte Begriff in-game spiegelt dabei die neu entstehenden Anforderungen wider, die sich aus solch interaktiven ebook-Projekten für Autor und Marketing ergeben. Zugleich zeigt dieser Begriff die Nähe des Romans zu Video- und Computerspielen im 21. Jahrhundert.

 

Wie sich diese in-game-Phase genau gestaltete und welche Bedeutung sie für das Funktionieren des ebook-Projekts Deathbook einnahm, erfuhren die Teilnehmer_innen bei der anschließenden Podiumsdiskussion (Moderation: UTE NÖTH,  freie Lektorin und Projektmanagerin für digitale Buchprojekte). Über die Zukunft des Lesens diskutierten neben dem Autor sowie der begeisterten ebook-Leserin NICOLE WIESMANN, die ihren Platz auf dem Podium über ein Gewinnspiel gewonnen hatte, auch Lektor UWE NAUMANN, Koordinator für e-Publishing im Rowohlt-Verlag, sowie WOLFGANG HALLET, Professor im Bereich Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der JLU.

 

Über ebooks und die Zukunft des Lesens


Foto 2_Podium_mit Plakat.jpgAlle Diskutant_innen berichteten, dass die programmatische Verschmelzung von Realität und Fiktion in Deathbook nicht nur Hürden errichtet, sondern auch neue Möglichkeiten der Interaktion mit dem Text bietet. Andreas Winkelmann betonte, er habe in der Zeit der seriellen Veröffentlichung seines Thrillers drei Facebook-Profile gleichzeitig bedient, um Geschichte und Wirklichkeit ineinander zu weben. Dass ihm dies auch gelang, machte er anhand einer Anekdote deutlich: So gingen unzählige Beileidsbekundungen bei ihm ein, nachdem er laut Skript den Tod seiner Nichte online verlautbart hatte. Wie sehr seine Leser_innen in die Geschichte eingetaucht waren wurde dem Autor erst bewusst, als einige ihm nach der Enthüllung übel nahmen, auf die erfundene Geschichte reingefallen zu sein. Mit dieser Erfahrung konnte sich auch Nicole Wiesmann identifizieren. Ihr Leseeindruck, der besonders von Anrufen und Post des Deathbook-Mörders geprägt wurde, eröffnete für sie eine neue, bislang einzigartige Dimension der Involviertheit in den Roman. Auch Lektor Uwe Naumann bestätigte diesen Eindruck der Leserin und hob hervor, dass einige Hürden zu überwinden waren, um ein solches Leseerlebnis überhaupt zu ermöglichen. Die Arbeit von Autor und Lektor musste eng mit den endgültigen Text- und Bildformaten abgestimmt werden, so dass das produzierte ebook auf den verschiedenen Endgeräten lesbar ist. Laut Naumann würde der Autor dabei zu einer Art Projektmanager, der während des Schreibens schon den Einsatz weiterer Medien bedenken und ihre Funktion für die Geschichte, wie auch jene innerhalb der Geschichte, gleichzeitig konzeptualisieren müsse. Und so prognostizierte Naumann aus der Sicht der Verlage, dass diese Art des ebooks angesichts der enormen Herausforderungen für die Produktion in der Zukunft sicher nicht die alleinige Buchform sein werde; vielmehr handele es sich um eine neue, innovative Erweiterung bereits vorhandener Buchkonzepte.

 

Digitales Lesen und Publizieren als Herausforderung


Die neuen Herausforderungen für Autoren_innen, Leser_innen und Verlage im Zeitalter des digitalen Lesens und Publizierens strukturierten die weitere Diskussion. Im Zentrum stand dabei die Frage inwieweit die Integration von audiovisuellen Elementen und neuen Medienformaten die Darstellungsmöglichkeiten von Literatur erweitert. Wolfgang Hallet wies in diesem Zusammenhang auf die Gattungsgeschichte des Romans hin, die immer mit einer Leseerfahrung des persönlichen Rückzugs verbunden gewesen sei. Die wortgestützte Imagination lasse den Leser_innen gewisse Freiheiten, die auch durch eine Etablierung des elektronischen, interaktiven Romans nicht vollständig abgelöst werden könne. Bereiche wie Fanfiction oder Hyperfiction, die ähnlich wie Video- und Computerspiele die Leser_innen am Erzählvorgang beteiligen, seien als Forschungsgegenstand sehr interessant geworden. Bei einer wissenschaftlichen Beschäftigung und Antizipation solcher Formate müssten Forscher_innen auch die Lesesozialisation der Internetgeneration bedenken. Zwar sei im Verlagswesen das Denken in traditionellen Kategorien noch verbreitet, betonte Uwe Naumann; da jedoch das Lesen als individualisierte Kulturtechnik jüngst stark aufgewertet wurde, scheint es interessant, diesen progressiven Zusammenhang für die Vermischung von Gaming und digitalem Lesen zu nutzen. Verlage müssten sich zukünftig darauf einstellen, dass Leseorte, Lesesituationen und Leseweisen ihrer Kunden_innen deutlich individueller und persönlich ausfallen müssen. Durch die Vermischung von Realität und Fiktion einerseits, sowie die vielfältigen Möglichkeiten der Interaktion mit dem Text andererseits, entstünde mehr als ein enhanced ebook; dieser Begriff sei ohnehin zu unpräzise, da er nicht auf eine enge konzeptuelle Verschmelzung von digitalem Text, der erzählten Geschichte und den gebotenen Medienformaten hinweise. Dem fügte Wolfgang Hallet hinzu, dass sich ein solches ebook-Format für eine Geschichte nur dann anbiete, wenn der Erzählgegenstand auch in Form des neuen Mediums erfahrbar werden könne. So gelinge gerade ein Buch wie Deathbook, dessen Erzählung eng an das Internet und die aus der Nutzung entstehenden Gefahren gebunden sei. Im Gegensatz dazu könne jedoch die Erzählung anderer Thriller und Romane, welche mit der digitalen Welt nicht so eng verzahnt seien, kaum in diesem Maße auf das intermediale Lesererlebnis zurückgreifen.

 

Abschließend bekannten sowohl Naumann als auch Hallet ihre persönliche Vorliebe für das gedruckte Buch. Gleichzeitig prognostizierten aber beide, dass ebooks, häufig enhanced und von interaktiver Art, zukünftig einen großen Marktanteil an verkauften Büchern haben werden. Dies bedeute nach Ansicht beider aber nicht, dass das gedruckte Buch vollständig von dieser Entwicklung überholt oder gar verdrängt werde.

 

 

Veranstaltungsprogramm


Begrüßung

 

Anna Weigel (Projektleiterin und Doktorandin am International Graduate Centre for the Study of Culture an der Justus-Liebig-Universität Gießen)

 

Deathbook - Multimediale Autorenlesung

 

Andreas Winkelmann (freischaffender Autor)

 

Podiumsdiskussion zur Zukunft des Lesens

 

Andreas Winkelmann (freischaffender Autor)

 

Dr. Uwe Naumann (Koordinator für e-Publishing im Rowohlt-Verlag)

 

Prof. Dr. Wolfgang Hallet (Justus-Liebig-Universität Gießen)

 

Nicole Wiesmann (Deathbook Leserin)

 

Moderation

 

Ute Nöth (freie Lektorin und Projektmanagerin für digitale Buchprojekte)

 

 

© bei den Autorinnen und bei KULT_online

Fotos: Charlotte Ahrens